Fiona Rakus
Am Anfang kannte sie nur die Meinung einer Taxi-Fahrerin. Fiona Rakus kam ohne Vorwissen zum ersten Mal nach Halle, um eine Wohnung für ihre Studienzeit zu suchen. „Die Taxi-Fahrerin meinte, dass die LuWu sehr interessant und eine schöne Straße sei“, erzählt die 21-jährige. Ihr erster eigener Eindruck war dann eine ungewohnte Besonderheit: Die Hausnummern in der Ludwig-Wucherer-Straße sind nicht wechselseitig durchnummeriert, sondern steigen zunächst auf der einen Straßenseite und nehmen auf der anderen weiter zu. Folgt man den Zahlen, fällt die Menge an ansässigen Geschäften auf.
Die LuWu rauf und runter
Die Ludwig-Wucherer-Straße beginnt an der Ecke zum Steintor. Vorbei an einem Markt für Haushaltsgeräte und einem Imbiss, zeigt sich das ehemalige Landwirtschaftliche Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Direkt neben diesem alten Gebäude entstand in den letzten Jahren der 47 Millionen teure Neubau des Geisteswissenschaftlichen Zentrums. Hier sind zahlreiche universitäre Einrichtungen, zum Beispiel Rakus‘ Geschichtsinstitut, unter einem Dach vereint. Auch eine neue Gesamtbibliothek findet ihren Platz. Für Lernpausen bietet die LuWu direkt nebenan das Café ILOVE.
Folgt man der Straße weiter, erstreckt sich über drei Hausnummern der Neubau des LuWinkel. Dieser steht im Gegensatz zum Rest der Straße, wo die alten, hohen Häuser saniert anstatt abgerissen werden. „Die Bauten erinnern mich an Riga. Die Straße scheint dadurch in sich eine eigene Geschichte zu vereinen“, schwärmt Rakus. „Sie hat ihren eigenen Charme.“ Diesen merkt man vor allem an den originellen Läden, die sich in der Straße angesiedelt haben. Das Patch & Work befand sich vorher auf der anderen Seite der LuWu. Seit drei Jahren verkauft Inhaberin Grit Weigmann nun an dieser Stelle ihre Stoffe. Auch die 21-jährige Geschichtsstudentin schaut hier gerne vorbei. „Die Läden hier sind einfach Unikate. So etwas wie ein H&M würde den Rhythmus der Straße zerstören.“ Nach diesem Kreativ-Geschäft findet sich eine Apotheke, ein meist gut besuchter Grieche, die Pauluswäscherei und das Shabby. Wie zu den meisten Lokalitäten fällt Fiona eine Anekdote ein. „Im Shabby war ich nur einmal, wurde aber versetzt. Der Laden kann dafür natürlich nichts“, erklärt Rakus grinsend.
Eine Straße voller Überraschungen

In der Kräuterhexe gibt es zahlreiche Kräuter, Gewürze, Tees, aber auch Mineralien und Edelsteine zu entdecken
Im Antiquariat Hans+Grete war sie hingegen noch nie. „Wenn ich mal etwas mehr Geld verdiene, will ich mir hier unbedingt etwas kaufen.“ Ein Lokal, was zum Verweilen einlädt, ist die Fliese. Hier treffen sich Menschen jedes Alters zum Kaffee oder Bier trinken. Rakus‘ verabredet sich in dem Café gerne zum Frühstück. Kulinarisch geht es auf der Seite der LuWu mit dem Imbiss la ka:rot und der Kräuterhexe weiter. „Von der Kräuterhexe war ich sehr überrascht; dachte, hier gibt’s nur Tabak“, erzählt die junge Frau. „Dann habe ich jedoch eine Vielfalt an getrockneten Blumen entdeckt, die verwende ich häufig beim Backen oder wenn ich selbst Schokolade mache.“ Weiter in Richtung Reileck befindet sich die zweite Wäscherei in der Ludwig-Wucherer-Straße, das Wollgeschäft Fadenliebe und eine kleine Galerie. Überrascht erblickt man schließlich das Schild einer Friedenskirche. Vorbei an Sprach- und Fahrschule steht man vor dem Black Angel. Eine Bar, die gewöhnliche Stammtische und verruchte Abende bietet. Bevor man das Reileck erreicht, lässt man einen Barbier und die Deutsche Bank links hinter sich.
Alles, was das Herz begehrt

Das 24-Stunden-Edeka „Eckert“ ist zu jeder Tages- und Nachtzeit ein wichtiger Anlaufpunkt in der Ludwig-Wucherer-Straße
„Ich kenne das gar nicht, dass es in einer Straße so viele unterschiedliche Dinge, so eine große Variation von Läden nebeneinander gibt“, bemerkt die Studentin. Vom Reileck dreht man sich nun Richtung Steintor, schlendert auf der anderen Straßenseite wieder hoch. Blumenladen, Brautmodengeschäft und Reisebüro finden sich vor zwei Tattoo-Studios. „Von 100 Dingen, die man braucht, entdeckt man 80 in der LuWu“, lacht Rakus. „Drei Jahre habe ich nach einem passenden Tätowierer gesucht und ihn dann hier vor meiner Haustür gefunden.“ Auch das Geschäft daneben besucht die 21-Jährige gern. „Im Kaufmann’s Laden gibt es den besten Kuchen.“ Es folgt ein weiteres Café, ein Spezialist für Hörgeräte und ein Friseur. Schließlich gelangt man zum 24-Stunden-Edeka. Im Jahr 2007 eröffnet, bedient der Discounter nachts zwischen 400 und 800 Menschen täglich. Das Konzept ist in Halle einmalig. Typische Kunden in der Nacht sind vor allem Schichtarbeiter oder Studierende wie Fiona Rakus. „Der dringendste Einkauf, den ich im Edeka machen konnte, war zur Weihnachtszeit, als ich Plätzchen backen wollte und weder Mehl noch Eier hatte. Da bin ich nachts um drei nur im Schlafanzug rübergegangen.“
Neben dem Edeka reihen sich ein Tierfuttergeschäft und eine Konditorei ein. Weiter die LuWu hinauf, folgen das Restaurant Roeßing, ein Bäcker und ein Kiosk. Neben dem Nestchen, welches das Waschcafé Mangelwirtschaft beerbt, liegt der EisDealer, vor dem sich im Sommer zahlreiche Kinder um das Eis drängen. Erinnern wird sich Rakus vor allem aber an die Mangelwirtschaft: „Das Konzept, dass man seine Wäsche waschen und gleichzeitig einen Kaffee trinken kann, hat mich sofort begeistert.“ Auch zum nächsten Waschsalon hinter dem Einrichtungsladen Ambiente und dem Geschäft für Druckereizubehör PuK hat Rakus eine Geschichte parat. „In der Wäscherei hier bin ich mindestens schon zehn Männern begegnet, die von ihrer Freundin rausgeworfen wurden und deswegen keine eigene Waschmaschine mehr hatten.“
- Die Konditorei Wendl fügt sich im frisch sanierten Haus erst seit Ende 2015 in das Bild der Ludwig-Wucherer-Straße ein
- Im Nestchen gibt es neben Stoffwindeln und Tragetüchern auch ökologisch und nachhaltig hergestelltes Spielzeug
- Der Waschsalon Anda ist einer von zwei Wäschereien in der Ludwig-Wucherer-Straße und trumpft mit 13 Waschmaschinen und sechs Trocknern auf
Wirklich jeden Wunsch erfüllt?
Die letzten Meter der LuWu zeigen noch einmal die breite Vielfalt der Straße. Neben dem Fahrradladen Skorpion und dem chinesischem Restaurant Hong Kong bietet eine weitere Fahrschule ihre Dienste an. Im danebenliegenden Bäcker musste Fiona Rakus schon die ein oder andere Wartezeit überbrücken. „Immer, wenn meine Freundin gegenüber beim Arzt ist, hole ich mir hier etwas zu essen und warte auf sie.“ Vorbei am Evergreen landet man wieder gegenüber dem Landwirtschaftlichen Institut. Hier war früher der Bauernclub beheimatet, welcher 2014 abgerissen wurde. 42 Jahre wurde hier für Prüfungen gelernt, nach bestandenen angestoßen und Nächte durchgefeiert. Inzwischen hat der Studentenclub am Kaulenberg ein neues Domizil gefunden.
Angekommen am Steintor ist deutlich geworden, dass die Ludwig-Wucherer-Straße eine Vielzahl an unterschiedlichen Geschäften und Angeboten bietet. Rakus hat in den 1 ½ Jahren, in denen sie diese Straße ihre Heimat nennt, zu vielen Läden eine eigene kleine Geschichte entwickelt. So bleibt am Ende für sie nur ein Bedürfnis unerfüllt: „Ich würde mir sehr gerne einen Zeichenladen hierher wünschen. Das fehlt wirklich noch.“